Von Incheon, der Hafenstadt im Westen von Seoul fährt unsere Fähre über das Chinesische Meer nach Lianyungang in China. Mit der U-Bahn fahren wir von Seoul nach Incheon und laufen durch das berühmt China Town zum Hafen. Während das Chinatown mit seinen, von vielen roten Lampions geschmückten, grossen Restaurants einen gemütlichen Eindruck auf uns macht und es uns Leid tut hier ohne etwas zu essen durchlaufen zu müssen, ändert sich das sobald wir uns dem Hafen nähern. Hier herrscht ein emsiges, fast schon chaotisches Treiben. Grosse, schwer beladene Lastwagen rasen über die breiten Strassen und maltretieren mit ihren Abgasen die Luft und mit dem Lärm unsere Ohren. Leider wollen wir von einer falschen Richtung ins Hafengebiet laufen. Darum werden wir an einer Kontrollstelle von einer Polizistin zum Zoll und vom Zoll wieder zurück auf die Strasse geschickt von der wir gekommen sind. Nun befinden wir uns auf einer grossen Baustelle und es trennen uns nur noch dünne Plastikabschrankungen von den grossen, dreckigen und lauten Lastwagen.
Wir sind sehr froh, dass wir ohne Unfall zum Ferry Terminal 2 gekommen sind. Im Terminal befinden sich schon viele Chinesen in der Wartehalle. Wieso wir wissen, dass es sich um Chinesen handelt ist leicht erklärt – sie sind laut, haben eine aktive Art anzustehen und haben unmengen von Gepäck dabei.
Ich mache mich auf die Suche nach unseren Tićkets, die hier irgendwo zum Abholen bereit liegen. Gerade als ich den richtigen Schalter gefunden habe kommt ein Mann auf mich zu. Er stellt sich als Mr. Li vor, sei irgendein hohes Tier bei der Firma der die Fähre gehört und möchte sicher gehen dass mit unseren Tickets alles klappt. Ich erkläre ihm, dass wir die Tickets bereits reserviert und bezahlt haben. Er nickt und redet auf eine Frau hinter dem Schalter ein, die gerade mit etwas ganz anderem Beschäftigt ist. Irgendwann bedeutet er mir, dass ich mich noch ein wenig gedulden soll. Und siehe da, nach etwa 5 Minuten erscheint eine weitere Dame und diese hält unsere Tickets in der Hand. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Doch ich bin etwas verwundert als mir die Dame nicht die Tickets sondern den Taschenrechner unter die Nase hält und mir mitteilt, dass unsere Tickets 560’000 Won (das währen etwa 450.- Sfr.) kosten. Da wir aber bereits 950.- Sfr. für diese Tickets bezahlt haben, sehe ich es nicht ganz ein wieso ich die Billette noch einmal bezahlen soll und genau diesen Standpunkt versuche ich meinen Gesprächspartnern näherzubringen. Ich erkläre noch einmal, dass wir die Tickets schon in der Schweiz bezahlt haben. Ich habe keine Ahnung wieso aber plötzlich scheint allen alles klar zu sein, auf jeden Fall lachen alle um mich herum und mir werden die Tickets übergeben – einfach so und ohne das irgendjemand kontrolliert hätte ob ich auch wirklich ich bin.
Nachdem wir alle durch den Zoll und das Check-In sind, werden wir in einen altersschwachen, dreckigen Bus verfrachtet und mit dem fahren wir zur Fähre. Während wir über eine wacklige Treppe hinauf ins Schiff steigen können wir beobachten wie riesige Kräne grosse Container aus dem Schiffsbauch holen.
Bei der Zi Yu Lan handelt es sich um ein kombiniertes, Passagier- und Containerschiff. Die vordere Hälfte des Schiffes bietet knapp 200 Containern Platz (5 Schichten im Schiffsrumpf, 2 Schichten auf dem Schiff). Die Passagiere sind in sechs Stockwerken verteilt.
An der Reception werden wir bereits erwartet und uns wird ein Schlüssel in die Hand gedrückt. Mit dem Lift geht es durch das Schiff hinauf zu unserem Stockwerk. Nach der sehr schönen, gepflegten Fähre von Russland nach Süd Korea überzeugt uns der Zustand der Einrichtungen und des Schiffes als Ganzes nicht im Geringsten. Die Teppiche sind abgelaufen und dreckig, elektrische Kabel hängen von der Decke herunter und der Geruch in den Gängen erinnert an eine Mischung von Diesel- und Maschinenöl begleitet von einer leichten Fischnote. Aber der Höhepunkt steht uns noch bevor. Das erste was wir von unserer Kabine mitbekommen ist der Geruch. Die Zusammensetzung entspricht etwa der in den Gängen, nur ist die hier drin auch noch abgestanden. Vielleicht liegt es ja nur daran, dass sich ein Vorgänger am klaffenden Loch in der Decke gestört hat. Dieses Loch wäre der Ein- und Auslass der Klimaanlage und genau von dort zieht unsere motivierte Schiffsangestellte wortlos ein Kissen heraus, verlässt unsere Kabine und lässt uns in unserer aufkeimenden Frustation einfach sitzen.
Wir versuchen das Beste aus der Situation zu machen, verlassen unsere Kabine und machen einen Rundgang durchs Schiff. Aber auch der Rest des Schiffes vermag unseren ersten Eindruck nicht zu ändern. Die Zi Yu Lan hat ihre besten Zeiten definitiv schon seit ein paar Jahrzenten hinter sich. Es gibt zwar einen Swimming-Pool und zwei Whirl-Pools auf dem Sonnendeck, doch so wie die aussehen haben die seit Jahrzehnten kein Wasser mehr aus der Nähe gesehen. Und die diversen Sonnendecks sind zwar mit grossen Scheiben gegen Wind geschützt, aber leider schützen diese alten, matten Scheiben auch davor, dass man durch sie hindurch schauen könnte – diese Überfahrt kann ja heiter werden. Es gibt auch noch zwei Restaurants, diverse Kleider-, Lebensmittel- und einen Alkoholladen. Es gibt auch ein Kino, eine grosse Bar mit Karaokeeinrichtung und je eine Sauna. Aber all diese Einrichtungen sind nicht mehr in Gebrauch.
Auf unserem Rundgang können wir uns einfach nicht vorstellen, dass alle 4er-Kabinen mit Fenster belegt sind. So beschliessen wir, dass Babs und Silvia an die Reception gehen und fragen ob es nicht möglich wäre unsere Kabine mit einer mit Fenster zu wechseln – und siehe da Frauencharme und ein kleines, herziges, blondes Mädchen bringen es fertig, dass wir bereits 15 Minuten später fröhlich in einer relativ sauberen Kabine mit Fenster sitzen.
Während wir um 19:00 auf das Schiff gekommen sind, dauern die Löscharbeiten bis ca. 21:00. Das Schiff legt aber erst kurz vor Mitternacht ab. Mit einem Buggsier wird es vom Quai gezogen und im sehr engen Hafenbecken gedreht. Das dicke Seil mit dem der Bugsier mit unserer Fähre verbunden ist ächzt unter der grossen Belastung. Der Bugsier begleitet die Zi Yu Lan bis sie in eine der beiden grossen Schleusenbecken gefahren ist. Es dauert fast eine Stunde, bis wir diese Schleuse durchfahren haben und ca. 3 Meter weiter unten auf das offene Meer hinaus fahren können.
Wir schlafen sehr gut auf dem Schiff und wachen trotz unserem Kabinenfenster erst auf als die Sonne schon lange aufgegangen ist. Gemeinsam machen wir uns auf die Suche nach einem Ort an dem wir frühstücken können. Im Restaurant gibt es zwar chinesische Brötchen, aber die anderen Sachen, Seegrassalat, Retich mit Chili, Suppe und Reis machen uns nicht so an. Wir laufen weiter durch das Schiff. Aber ganz egal wo wir hingehen es gibt einfach keinen Kaffee oder sonst etwas, das wir als Bestandteil eines Frühstücke bezeichnen. So gehen wir wieder in unsere Kabine und genehmigen uns eine grosse Portion Cup-Noodles.
Nach dem Frühstück setze ich mich an ein Tisch am Fenster eines Ganges. Während ich an den Bloggs von Korea schreibe kann ich die mitreisenden Chinesen studieren. An einem Nebentisch sitzt eine Gruppe und spielt Karten. Es ist unwahrscheinlich wie laut diese Chinesen sind. Immer wieder ertönen laute, gellende Stimmen. Die Diskussionen werden zum Teil sehr laut und tönen aus meiner Sicht agressiv, aber kurze Zeit später ist die gesamte Gruppe schon wieder am laut Lachen. So schlimm kann es also nicht sein.
Die Chinesen, die hin und her laufen, sind zum Teil in ihren Pyamas unterwegs. Eine Frau trägt eine besonders gelungene Kombination bestehend aus einer kurzen, schwarzen Lederjacke, einer seidigen drei-viertel Pyamahosen mit Rüscheli an den Beinenden und dazu trägt sie knallrote Plastiklatschen. Aber auch Männer laufen mit seidigen Pyamas und flauschigen Schlarpen durch die Gegend. Viele sind ständig am Rauchen und dies obwohl es hier auf dem Schiff alle paar Meter Rauchverbotzeichen hat. Aber da auch der grosse Teil der Besatzung ständig am Rauchen ist stört das niemanden.
Einer der Chinesen verpasst keine Gelegenheit seine Nase zu putzen. Jedesmal wenn er an einem der Aschenbecher vorbeikommt hält er ein ein Nasenloch mit seinem Finger zu und schneuzt kräftig. Ob der so aus der Nase transportierte Schleimhautüberschuss auch wirklich seinen Weg in den Kübel findet oder nicht, will ich eigentlich gar nicht so genau wissen.
Unser Mittag- und Abendessen nehmen wir im Restaurant des Schiffes ein. Das Essen ist im Preis inbegriffen, sicher nicht mit Liebe zubereitet aber es ist wenigstens nicht scharf. Wir sitzen zusammen mit Chinesen an grossen runden Tischen und wie erwartet lösen vor allem unsere Kinder starke Reaktionen aus. Die Chinesen zeigen auf die Kinder und versuchen mit ihnen zu sprechen. Andere heben einfach ihre Daumen in die Höhe und lächeln uns zu. Einige Chinesen reagieren aber für uns unerwarted heftig und so können wir es nicht verhindern, dass unsere Tocher von einer Chinesin an sich gedrückt und auf die Stirne geküsst wird. Wir versprechen Silvia, dass wir sie von jetzt an in unsere Mitte nehmen und beschützen werden.
Die Fahrt über das Gelbe Meer verläuft sehr ruhig. Nur während ein paar Stunden sind die Wellen am Nachmittag etwas höher und unsere Fähre wird von den Wellen hin und her geschaukelt. Je mehr wir uns China nähern, desto mehr Schiffen begegnen wir. Meistens handelt es sich um kleine, alte, verlotterte Fischerboote, die so tief im Wasser liegen, dass es so aussieht als ob sie bald sinken. Aber wir begegnen auch grossen Frachtern auf ihrem Weg von oder nach den Meereshäfen in der Nähe von Bejing.
Gegen 22:00 chinesischer Zeit erreichen wir den Hafen von Liangyungang. Das Erste was wir davon mitbekommen ist ein fürchterlicher Gestank. Irgendwie riechte es als ob wir durch eine chemische Fabrik fahren. Schon von weitem sehen wir die Hafenlichter. Die Zi Yu Lan verlangsamt ihre Fahrt um in den riesigen Hafen von Lianyungang einzufahren. Es ist kaum zu glauben, dass wir in Europa noch nie von diesem Hafen gehört haben. Die künstlichen Hafenbegrezungsmauern ziehen sich über Kilometer hin und die von starken Neonlichter beleuchten Hafenkräne recken ihre stählernen Fangarme in den von Nebel durchzogenen, dunklen Nachthimmel. Auch in diesem Hafen geht nichts ohne die Hilfe eines kräftigen Bugsier. Dieser manövriert uns zielsicher an den Liegeplatz wo unser Schiff für die Nacht festgemacht wird. Es ist kurz vor Mitternacht als auch diese Arbeiten abgeschlossen sind und unser Schiff fest verankert am Pier liegt. Der schmale Laufsteg hinab auf das Pier wird von einem Mitglied der Chinesischen Voldsarme bewacht und darum kann uns nichts mehr passieren. Denn da die Immigration Office um diese Zeit nicht mehr geöffnet ist dürfen wir eine weitere Nacht auf der Zi Yu Lan verbringen.
Da auf dem Schiff kein Frühstück mehr serviert wird – welches sowieso nichts für uns gewesen wäre mit Reis, Seegras und Chillirettich – spaziere ich mich ein wenig auf dem Schiff herum. Die Hafenanlagen werden von der hinter einem Wolkenband aufgehenden Sonne beleuchtet und ich bemerke, dass unsere Ladung bereits in der Nacht zum grössten Teil gelöscht wurde. Tiefe Löcher befinden sich nun dort wo sich gestern noch Container bis zur Kommandobrücke befunden haben. Während auf der einen Seite unseres Schiffes viele Menschen damit beschäftigt sind Container von resp. auf andere Schiffe zu laden, herrscht auf der anderen Seite eine ganz andere Stimmung. Hier tuckert ein Motorschiff langsam durch das spiegelglatte Wasser des Hafens. Im Hintergrund erheben sich dunkel die Berge einiger vorgelagerten Inseln und alles ist in dichten, von der Sonne erhellten Nebel eingehüllt. Wären da nicht die vielen, in allen Farben glänzenden Ölflecken im Wasser, hätte man meinen können, dass wir uns in einer intakten und ungestörten Natur befinden.
Wieder zurück in der Kabine ist die gesamte Familie auf den Beinen und teilt mir mit, dass wir den Kabinenschlüssel abgeben mussten und das wir unser Frühstück bekommen haben. Es handelt sich um vier Dosen kalter Suppe und vier in Plastik eingezwengte Würstchen. Ja, ja ich sage ja auch immer man soll alles probieren, aber alles hat seine Grenzen. Der Geruch der ausgepackten Wurst erinnert mich sehr stark an das Katzenfutter aus der Dose, das wir unserer Katze verfuttert haben. Deshalb ist der Biss in dieses Ding auf nüchternen Magen eine grosse Herausforderung für meinen Magen. Aber das ist noch nichts gegen den Anblick der geöffneten Suppendose. Ein Blick genügt und ich verspüre keinerlei Hungergefühl mehr. Der Rest der Familie ist härter im nehmen und schafft es eine ganze Dose zu essen.
Es ist kurz vor halb neun, als wir sehen wie sich ein fahrender Landungssteg unserem Schiff nähert. Ausserdem stehen zwei relativ modern wirkenden Reisebusse neben unserem Schiff. Wir nehmen unser Gepäck und begeben uns nach unten wo wir uns in die lange Schlange der bereits wartenden Passagiere mit ihren Unmengen von Gepäck stellen. Wir sind froh, dass wir nur unsere Rucksäcke am uns verabschiedenden Personal vorbei über den engen Landungssteg nach unten auf das Pier tragen müssen. Diese können wir direkt in den Bus mitnehmen und müssen nicht erst einen Platz im Kofferraum des Busses finden. Uns fällt aber auf, dass die Chinesen, ganz gegen unsere Erwartungen, beim Umsteigen vom Schiff auf die Buss weder Drängeln noch herumschreien, alles läuft ruhig und ohne Stress ab. Auch im Bus in dem wir sogar alle einen Sitzpltz finden geht es sehr zivilisiert zu. Ruhig kann man hier nicht sagen, denn es gibt einige Chinesen, die gar nicht leise reden können. Aber die Leute helfen sich gegenseitig und auch uns wird sofort Platz für unsere Rucksäcke angeboten als wir einsteigen.
Die Fahrt mit dem Bus durch die riesigen Hafenanlagen zur Immigration dauert fast eine halbe Stunde. Dabei fahren wir vorbei an nicht enden wollenden Containerbergen, riesigen Kohlehaufen, die von gigantischen Schauffelbaggern von ihren Lagerstätten auf grosse Förderanlagen verfrachtet werden und hunderten von Ladekränen.
Das Immigration Gebäude ist topmodern – aber zum grossen Teil steht es leer. Wir werden durch die langen, grossen Hallen geführt. Die Kinder lachen uns wegen dem sauberen, glänzenden Marmorboden aus, über den wir laufen. Denn in Süd Korea haben wir ihnen gesagt, dass es in China nicht so saubere Böden gibt wie wir sie in den Einkaufszentren, den Bahnhöfen oder in der Lotte World angetroffen haben. Die Einreise nach China verläuft ebenfalls ohne jegliche Probleme. Die Grenzbeamten sind sehr freundlich und sogar hier werden wir von den chinesischen Einreisebeamten mit einem Lächeln und unsere Kinder sogar mit einem High-five begrüsst.